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Title
Ideale und Interessen. Die mitteleuropäische Wirtschaft im Amerikanischen Bürgerkrieg


Author(s)
Gaul, Patrick
Series
Transatlantische historische Studien (61)
Published
Stuttgart 2021: Franz Steiner Verlag
Extent
340 S.
Price
€ 64,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Dana Hollmann, Universität Hamburg

Die Betrachtung des Amerikanischen Bürgerkriegs aus europäischer Sicht stellt in den Geschichtswissenschaften zweifelsohne kein Novum dar – zumindest dann nicht, wenn es sich um die Perspektiven großer Kolonialmächte der Frühen Neuzeit wie Großbritannien oder Frankreich handelt. Deutlich bescheidener jedoch sieht die Forschungslage hierzu in Bezug auf Mitteleuropa aus. Mit seiner 2018 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vorgelegten Dissertation „Ideale und Interessen. Die mitteleuropäische Wirtschaft im Amerikanischen Bürgerkrieg“ leistet Patrick Gaul einen Beitrag, um diese Lücke zu schließen.

Ausgangspunkt der Arbeit bildet die in sich eng verwobene atlantischen Welt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits auf eine mehr als 300 Jahre alte Geschichte an Handelsverbindungen zurückblickte. Dass sich hier auch deutsche Akteur:innen beteiligten, ist in der Forschung mittlerweile bekannt.1 Gaul verdeutlicht für mitteleuropäische Lebenswelten überdies die zentrale Rolle nordamerikanischer Baumwolle, die fast ausschließlich von Versklavten angebaut wurde. Zahlreiche geschäftliche und familiäre Kontakte verbanden, begünstigt durch die norddeutsche Kettenmigration nach Nordamerika, deutsche Staaten zusätzlich mit den Vereinigten Staaten. Dabei folgt Gaul der zentralen These, dass wirtschaftliches Handeln und Parteinahme deutscher Akteur:innen im Kontext des Amerikanischen Bürgerkriegs vor allem als Reaktion auf die eigenen lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten zu verstehen sind. Die gewählten geografischen Fixpunkte sind die Hansestädte Bremen und Hamburg sowie das mitteleuropäische Finanzzentrum Frankfurt am Main – jede der drei Städte war auf die Teilhabe an einer möglichst liberalen globalen Wirtschaft angewiesen, um den eigenen Wohlstand zu sichern und auszubauen. Durch die wirtschafts- und kulturhistorische Perspektive grenzt sich Gaul von politik-, militär-, oder diplomatiegeschichtlichen Ansätzen ab, die noch immer Untersuchungen von Kriegen dominieren. Diese Herangehensweise wird genutzt, um unter anderem aufzuzeigen, dass politische und ideologische Lager nicht unbedingt deckungsgleich mit wirtschaftlichen Denkweisen im Kontext der Globalgeschichte des Bürgerkriegs waren.

Die Untersuchung stützt sich auf sehr umfangreiches und breit angelegtes Material. So wurden erstmalig die 128 Bände der Official Records of the War of the Rebellion herangezogen, ergänzt durch Zeitungen und Zeitschriften aus den Vereinigten Staaten sowie West- und Mitteleuropas. Weitere Quellen, die für die Arbeit ausgewertet wurden, sind unter anderem Berichte aus den US-Konsulaten in Hamburg, Bremen und Frankfurt am Main aber auch Schriftgut einzelner Unternehmen, Handelshäuser und -register.

Die Arbeit gliedert sich – abgesehen von Einleitung und Fazit – in fünf Kapitel. Der Einstieg in den Hauptteil erfolgt in Kapitel 2 mit Ausführungen zur deutschsprachigen Auseinandersetzung mit der Versklavung von Personen afrikanischer Abstammung in Nordamerika. Entgegen den Bekundungen deutscher Staaten nach dem Bürgerkrieg und einiger Stimmen in der Forschung, kann nach Gaul nicht von einer mehrheitlichen Parteinahme für die Union unter Deutschen ausgegangen werden, auch wenn dies rückblickend ein attraktives außenpolitisches Narrativ darstellte. Es wird deutlich, dass sich die Arbeit unter Versklavung im 19. Jahrhundert keineswegs zugunsten freier Arbeit überlebt hatte, sondern noch immer wirtschaftlich rentabler für Europa und die Vereinigten Staaten war. Für mitteleuropäische Kaufleute waren pragmatische Aspekte aus dem eigenen Leben zumeist entscheidender als moralische Bedenken. Auch gesamtgesellschaftlich dominierte Gleichgültigkeit die Auseinandersetzung mit der (Un-)Rechtmäßigkeit der Versklavung. Die Jahre von 1840 bis 1860 und damit die Zeit unmittelbar vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg bezeichnet Gaul als „goldenen Herbst“ (S. 49) nordamerikanischer Plantagenwirtschaft, deren Grundlage die Arbeit von Versklavten war.

Im dritten Kapitel liegt der Fokus dann auf den Hansestädten Bremen und Hamburg, die für die Vereinigten Staaten wichtige Handelspartner im mitteleuropäischen Raum und Ausgangspunkt der norddeutschen Kettenmigration nach Nordamerika darstellten. Anhand der Öffentlichkeitsarbeit von Unions-Konsuln konstatiert Gaul, dass die öffentliche Meinung zum Bürgerkrieg nicht eindeutig, sondern umkämpft war. Dass es hier nicht nur um publizistische Debatten ging, sondern deutsche Staaten als „materielles Nachschublager für die Schlachten“ (S. 81) des Bürgerkriegs darstellten, zeigt Gaul eindrucksvoll unter Rückbezug auf deutsche Kaufleute, die hiervon finanziell profitieren wollten, indem sie nicht nur Waren, sondern auch Waffenlieferungen sowohl für Union als auch Konföderation anboten. Gerichtliche Folgen ihrer Beteiligung am Blockadehandel mussten sie zumeist nicht fürchten. Tendenziell lagen die Sympathien in den beiden Hansestädten auf der Seite der Südstaaten, bedingt durch das gemeinsame Ideal vom transatlantischen Freihandel aber auch der Sorge um eigene Tabak- und Baumwollvorräte in den Konföderationsstaaten.

Die Blockade hatte in Europa einen Baumwollmangel zur Folge, dessen wirtschaftliche und gesellschaftlichen Folgen das vierte Kapitel näher beleuchtet. Diese „erste globale Rohstoffkrise der Geschichte“ (S. 131) betraf nicht nur Kaufleute, die mit Baumwolle handelten, sondern alle Weber:innen und Spinner:innen Mitteleuropas, die von nordamerikanischer Baumwolle abhängig waren. Gaul zeigt mit Hilfe von Bremer Handelsstatistiken, dass die Blockade durch Umwege über Mexiko und die Karibik umgangen und die Stadt entgegen gängiger Forschungsmeinungen während des Bürgerkriegs sehr wohl nordamerikanische Baumwolle bezog.

Das darauffolgende Kapitel widmet sich der Stadt Frankfurt am Main als mitteleuropäisches Finanzzentrum, das enge Beziehungen nach Nordamerika pflegte. Am Beispiel der Bankiersfamilie Erlanger, die Baumwollanleihen zugunsten der Konföderation bewarb, verdeutlicht Gaul abermals, dass die Parteinahme in Bezug auf den Bürgerkrieg im deutschsprachigen Raum alles andere als eindeutig war. So erachteten es Unionsbefürworter:innen als skandalös, die Konföderation und damit die Versklavung von Afroamerikaner:innen und Afrikaner:innen durch Anleihen zu unterstützen, während andere Profit aus dem herrschenden Baumwollmangel schlagen wollten. Das Gros der Frankfurter Investor:innen setzte jedoch auf Unionsanleihen, nicht zuletzt aufgrund enger persönlicher Beziehungen besonders nach New York. An dieser Stelle äußert sich die dichte Analyse der historischen Quellen, die eine große Stärke der Arbeit darstellt, besonders eindrücklich – der:die Leser:in kann so den Aktienkurs von Unionsanleihen an der Frankfurter Börse konkret nachvollziehen, die auf Grundlage von Ausgaben des „Aktionärs“ berechnet wurden.

Im letzten inhaltlichen Kapitel finden sich Ausführungen zu Auswirkungen des Bürgerkriegs auf die deutschen Staaten, deren Zusammenhänge mit dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 hinterfragt werden. Gaul positioniert sich sicher in der umstrittenen Frage, ob und inwiefern dieser als „Bürgerkrieg“ zu bezeichnen sei, indem er die Kriterien hierfür als gegeben betrachtet. Beide Kriege werden als Weichenstellung für „die westlichen Großmachtkonstellationen des 20. Jahrhunderts“ (S. 270) betrachtet, die den Weg für das Erstarken von Nationalstaaten und Imperialismus ebneten.

Gauls Dissertation verdeutlicht, dass Deutsche im Kontext des Amerikanischen Bürgerkriegs nicht ausschließlich passive Beobachter:innen waren, sondern – das wird an den Standorten Bremen, Hamburg und Frankfurt am Main besonders deutlich – gezielt Einfluss nehmen konnten, vor allem in Form des Blockade- und Waffenhandels. Systematische Pressearbeit und Bemühungen der Unionskonsuln unterstreichen, dass eine Parteinahme der deutschen Staaten für die Union nicht selbstverständlich war.

Positiv hervorzuheben ist die umfassende sowie sichere Auseinandersetzung und eigene Positionierung Gauls innerhalb der Forschungsliteratur und den hier vorherrschenden Meinungen. Es ist daher bedauerlich, dass dies nicht auf die in der Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten übertragen wurde. So erfolgt keine Auseinandersetzung mit der – vor allem im englischen Sprachraum – Debatte um den Begriff der Sklav:innen im Gegensatz zu dem der Versklavten. Gaul verwendet durchgängig erstere Bezeichnung, die seit geraumer Zeit in der Kritik steht, da sie, so Kritiker:innen, den Umstand der Versklavung als Identität einer Person markiert. Ähnlich verhält es sich mit gendergerechter Sprache, die in der Arbeit sehr uneinheitlich gehandhabt wird, was ob einer fehlenden Reflexion diesbezüglich einen verwirrenden Leseeindruck vermittelt.

Gaul präsentiert mit seiner Dissertation neue interessante Erkenntnisse, die sich durch akribische Quellenarbeit sowie Souveränität in Umgang und Positionierung innerhalb bestehender Forschung auszeichnet. Abgesehen von den bereits ausgeführten Abstrichen handelt es sich auch aus sprachästhetischer Hinsicht um eine sehr ansprechende Arbeit, die dadurch nicht nur fachlich überzeugt.

Anmerkung:
1 Siehe hierzu unter anderem: Klaus Weber, Deutschland, der atlantische Sklavenhandel und die Plantagenwirtschaft der Neuen Welt (15. bis 19. Jahrhundert), in: Journal of Modern European History (Themenheft „Europe, Slave Trade, and Colonial Forced Labour”) 7 (2009) 1, S. 37–67.

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